Ich bin streng katholisch erzogen worden – hatte an und für sich ein gutes Elternhaus. Doch war damals eine Zeit, wo man über bestimmte Dinge – Probleme – einfach geschwiegen hat – beziehungsweise von der Gesellschaft verurteilt war, nicht zu reden. Schon mein Scheitern in meiner Berufswahl wurde nach außen hin als eigene Schuld angesehen und ich versuchte damit fertig zu werden, indem ich dieses Kapitel einfach verdrängte – anderseits fand ich in meinem Beruf als Krankenpflegerin sehr viel Freude, Genugtuung und Erfüllung. Nach meiner Heirat kam es schon in den ersten Monaten zu Konflikten in unserer ehelichen Beziehung. Auch die Geburt unseres Kindes, das Glück Mutter und Vater zu sein, löste diese Spannungen nicht. Wir hatten uns beide, jeder für sich, den Partner anders vorgestellt. Ich empfand vieles als Muss und Unterwerfung, was meine Würde als Frau verletzte. Das führte dazu, dass ich immer mehr verkrampfte, mich sozusagen in mein Schneckenhaus verkroch. Ein klärendes Gespräch herbeizuführen blieb letztendlich meistens nur beim Versuch und ohne Antwort. Wie ich erst viel später erfuhr, hat mein Gatte als Kind innere Verletzungen und Traumen seitens anderer erleiden müssen. Ich nehme an, dass auch diese Verletzungen zu seinem Verhalten beigetragen haben und dadurch unsere Zweisamkeit belasteten. In meiner Ehe gab es immer wieder große Beziehungskonflikte, Verletzungen, die sich tief in mein Innerstes hineingruben; längere Zeit trug ich mich mit dem Gedanken, meinen Mann zu verlassen. Aber Gott hat mich davor bewahrt – er gab mir Kraft, mein Versprechen, das ich am Traualtar gegeben habe (in guten und in bösen Tagen) zu halten und meinem Mann treu zu bleiben. Dazu muss ich erwähnen, dass ich nie aufgehört habe zu beten und Gott anzuflehen für uns beide.
Hier möchte ich meinen Erfahrungsbericht über Exerzitien einbringen. Exerzitien machen – ist für mich nicht der richtige Ausdruck – vielmehr Exerzitien geschehen lassen. Es ist das, was Gott an mir geschehen lässt, wenn ich es zulasse, wenn ich mich Ihm öffne, immer mit Hilfe eines Menschen, der mich geistlich begleitet.
Ein ganz wichtiger Punkt bei Exerzitien ist mir das Vertrauen zu jenem Menschen der mich begleitet, das ist erste Voraussetzung, damit ein gutes Gespräch in Offenheit und Aufrichtigkeit zustande kommt. Ich muss die Bereitschaft haben, mich von Gott führen zu lassen durch diese Person. Ich hatte das Glück (Geschenk) solchen Menschen zu begegnen.
Im Laufe der Jahre verspürte ich immer mehr eine innere Unruhe verbunden mit der Sehnsucht, einiges in mir und an mir zu ändern, mich auf die Suche zu machen, nach einem sinnvollen Leben, nach Tröstung und Heilung mancher Verletzungen, die ich im Laufe vieler Jahre erfahren habe – die zu erleiden und zu erdulden ich gezwungen worden war. Äußere Verletzungen heilen, aber seelische Verwundungen schmerzen lange oder immer und brechen in bestimmten Situationen neu auf und bluten.
Auf meiner Suche nach Befreiung von innerer Kränkungen und Schuldzuweisung (die ich mir auch oft selber gemacht habe) nahm ich öfters an Einkehrtagen, Besinnungstagen, religiösen Vorträgen teil. Immer mehr spürte ich in mir, dass mein Glaube stärker wurde, die Liebe zu Christus meiner Sehnsucht Raum gab und so nahm ich, ermuntert durch einen mir vertrauten Priester, das erste Mal an Einzelexerzitien teil. Meine geistliche Begleitung damals war eine Ordensschwester; zuerst stand ich ihr etwas skeptisch gegenüber, aber durch deren einfühlsame Hinführung verflog diese Angst in mir. Seitdem habe ich öfters an Einzelexerzitien teilgenommen – d. h. an mir geschehen lassen. Schon über Dinge zu sprechen, die mich jahrelang belasten, jemanden zu haben, der mir zuhört – das alles hat in mir zu einer inneren Freiheit geführt. In mir waren es kleine „Auferstehungen“ aus meinem Grab mit Verletzung, Enttäuschung, Schuld. Die jeweiligen Impulse bzw. Hinführungen zu bestimmten passenden Schriftstellen, das Beten und Meditieren mit der Hl. Schrift, das regelmäßige Gespräch mit dem Begleiter und nicht zuletzt die Mitfeier der Eucharistie ließen die Exerzitien zu einem Heilsweg meiner inneren Zerrissenheit werden. Alles, was sich in mir löste, alles, was im Gespräch zum Vorschein kam, das alles konnte ich im Dasein vor Gott hinlegen, IHM hinhalten. Durch die Begleitung habe ich gelernt auch vor Gott zu jammern, Fragen an ihn zu stellen, Fragen nach dem „Warum“. Früher habe ich immer versucht, Probleme auf die Seite zu schieben, sie zu vergessen (was nie gelang), Verletzungen einfach so hinzunehmen, als ob es „normal“ wäre, sie zu bekommen. In den Exerzitien habe ich gelernt, innere Wunden anzuschauen, diese vor den Herrn zu bringen mit der Bitte, sie zu verbinden, zu heilen. In meinen Exerzitien habe ich oft und viel geweint, im Gespräch oder im Beten bei bestimmten Schriftstellen, oder einfach im stillen Dasein. Es war, als ob ein Ventil geöffnet würde, damit die aufgestauten Tränen des Schmerzes, der Verbitterung abfließen können. Solche Tränen wirken befreiend, durch solche Tränen werden alte Lasten weggewaschen und sie schaffen neuen Raum auch für Verzeihung denen gegenüber, durch die ich innere Verletzungen erlitten habe. Es sind aber auch Tränen der Freude, Tränen des Dankes für die liebende Zuwendung Gottes.