Beten mit Demut und Großmut

Predigt am 25.04.2023 zu 1Petr 5,5b-6 und Mk 16,15.19f

Liebe Geschwister im Glauben!
I.
Beim Beten in Exerzitien hilft eine geeignete Körperhaltung, zu der meines Erachtens zweierlei gehört:
Einerseits habe ich mit beiden Beinen guten Kontakt zum Boden, so dass ich mich von unten her getragen weiß. Ich bin geerdet.
Andererseits richte ich mich auf, als würde ich von einem zarten Faden an meinem Scheitel ganz sanft ein wenig nach oben gezogen. So kann ich wach und achtsam sein für das, was mir von oben her geschenkt wird. Ich bin „gehimmelt“.
Diesen körperlichen Aspekten der physischen Gebetshaltung entsprechen zwei geistige Haltungen, die für das Gebet nützlich sind und die sich mit den biblischen Texten der heutigen Eucharistiefeier in Verbindung bringen lassen.


II.
Da ist zum einen die geistige Haltung der Demut. Zu ihr wird in der Lesung ausdrücklich eingeladen: „Begegnet einander in Demut […]“ (1 Petr 5,5b-6).
Demut bedeutet nicht Kleinmut, nicht Unterwürfigkeit, Duckmäusertum, Schwäche oder Feigheit.
Die eigentliche Bedeutung der Demut erschließt sich vom Lateinischen her. Auf Latein heißt Demut „humilitas“. Dieses Wort hängt wiederum mit dem lateinischen Wort „humus“ zusammen, was „Erde“ oder „Boden“ bedeutet.
Demut meint den Mut, die eigene Erdhaftigkeit anzunehmen; den Mut, sich damit auszusöhnen, dass wir Menschen von der Erde genommen sind und zur Erde zurückkehren. Demut ist der Mut, zu akzeptieren, dass wir Menschen von Fleisch und Blut sind, mit Stärken und Schwächen, mit Wünschen, Trieben und ganz vitalen Bedürfnissen. Wer demütig ist, hat den Mut, anzuerkennen, dass unser irdisches Leben begrenzt und vergänglich ist.
„Humilitas“ hängt auch mit dem Wort „Humor“ zusammen. Demütige Menschen können über sich selbst lachen. Sie nehmen sich selbst nicht zu ernst und nicht zu wichtig, sie nehmen sich selbst leicht. Demütige Menschen haben Abstand zu sich selbst, schauen gelassen auf sich und erlauben sich, so zu sein, wie sie sind.


III.
Das ist also die eine geistige Haltung, die dem Gebet nützt: die Demut, die mit der Erde verbunden ist. Zum anderen ist da aber auch eine zweite Haltung, die mehr mit dem Himmel verbunden ist, nämlich die Großmut. Sie wird im Evangelium indirekt angedeutet. Bevor der Auferstandene zum Himmel auffährt, ermutigt er die Apostel, sich nicht hinter verschlossenen Türen in der Enge und Abgeschiedenheit ihrer Häuser zu verschanzen, sondern in die weite Welt hinausziehen und allen Geschöpfen überall die Frohe Botschaft verkünden. Mit Gottes Hilfe tun die Elf das auch (vgl. Mk 16,15.20). Wer so aufbricht, zeigt Großmut.
Großmut ist nicht Hochmut, Stolz, Anmaßung, Überheblichkeit, Vermessenheit oder Aufgeblasenheit.
Großmut heißt auf Lateinisch „magnanimitas“, was „Hochherzigkeit“ und „Seelengröße“ bedeutet. Wer großmütig ist, stellt sich großzügig und freigiebig für eine Sache zur Verfügung und lässt sich vorbehaltlos auf sie ein.
Die Apostel lassen sich ganz darauf ein, sich von Christus senden zu lassen. Sie gewinnen den Mut dazu, weil sie erlebt haben, wie der Auferstandene für sie den Himmel aufreißt und ihnen so Zugang zu Gott verschafft (vgl. Mk 16,19). Durch Christus wird der Himmel so weit, dass da für alle Platz ist. Dies erfahren zu haben, macht den Elf das Herz weit. Es macht sie bereit für den weitestmöglichen Aktionsradius.


IV.
Großmut und Demut – beide Haltungen sind nützlich, wenn Sie Exerzitien machen:
Vielleicht haben Sie schon an vielen Exerzitienkursen teilgenommen und sind versucht, zu meinen, dass sich Ihnen nichts Neues mehr zeigen könne. Vielleicht machen Sie das erste Mal Exerzitien und fragen sich unruhig, was Sie da wohl erwarten wird. In beiden Fällen hilft Ihnen die Großmut, sich Gott zu öffnen, in seine Hände zu geben und seinem Wirken zu überlassen. So können Sie sich ganz auf die Geistlichen Übungen einlassen und auf die Begegnung mit Gott, die sich in ihnen ereignet.
Wenn Sie dabei sind, sich im Gebet zu geistigen Höhen aufzuschwingen, ist die Demut Ihr Anker, der Ihnen Bodenhaftung, Bodenständigkeit und Erdverbundenheit schenkt. Die Demut erlaubt Ihnen, sich mit humorvoller Gelassenheit zu betrachten und über sich selbst zu lachen. So können Sie im Gebet besser mit Trostlosigkeit, Trockenheit und Zerstreuungen umgehen und akzeptieren, dass Sie Ihr Gebet nicht kontrollieren und es oft ganz anders verläuft als erwartet.
Bitten wir daher in den Exerzitien immer wieder neu um Demut und Großmut, damit Gott uns schenkt, beides zu sein: der Erde verbunden und offen für den Himmel.

Jan Korditschke SJ